Urknall im Keller. Eine Begegnung mit dem Künstler Rolf Hemmerich in seinem Atelier in der Pohlstraße 11
von Christian Kaiser
Atelier Rolf Hemmerich. Parallel zur Pohlstraße, nahe am neuen Gleisdreieck-Park, lässt eine Kuriosität des U-Bahnbaus Raum für Ateliers entstehen: Denn die zunächst oberirdisch über eine eiserne Brücke geleitete U-Bahnlinie 1 fährt hier plötzlich mitten durch die zweite Etage eines roten Mietshauses und wird dann von einem ebenfalls noch oberirdisch verlaufenden Tunnel peu a peu in den Untergrund geführt. Die Besonderheit dieses Tunnels nimmt, wer von der Pohlstraße herüberschaut, nicht wahr, doch läuft man nun zwischen Spielplatz und Neubau durch einen versteckten Torbogen hindurch, findet man sich unerwartet in einer geschützten, aber dennoch sonnenbestrahlten langgestreckten Grünanlage wieder, in der man vom angenehmen Flair eines mediterranen Dorfes meint empfangen zu werden; geht der Besucher nun den Weg am Tunnel entlang, so wird er sehen, dass der Tunnel von Gewölben getragen wird, in denen sich Jugendtreff, Metall- und Holzwerkstatt, Flamenco-Tanzschule und mehrere Künstler mit ihren Ateliers und Ausstellungsräumen eingerichtet haben, unter ihnen auch Rolf Hemmerich, mit dem ich heute verabredet bin.
Herr Hemmerich begrüßt mich und führt mich ins Innere seines Ateliers in der Pohlstr. 11 Ich setze mich an einen langen Holztisch und blicke mich um: Es ist ein hohes, lichtes Gewölbe, über das ab und an die U-Bahn rumpelt. Kunstwerke sind im Raum verteilt: am Fenster ein zackiges Sonnenrad, von einer Stange getragen, daneben ein feingliedriger metallener Strahlenkreis, umrahmt und halb verdeckt von hölzernen Rechtecken. An der Wand gegenüber eine Art plastisches Bild, in dessen Mitte das Innere eines alten Türschlosses zu sehen ist, um das herum schwarze Hölzer angeordnet sind.
Schattenwesen IV, Mooreiche 100×100, Rolf Hemmerich
Schattenwesen IV, Mooreiche 100×100, Rolf Hemmerich, Foto: Rolf Hemmerich
An einer anderen Wand des Ateliers hängen „Schattenwesen“ aus braun-schwarzer Mooreiche. Das Rohmaterial liegt auf einem Tisch in der Ecke, viel ist nicht mehr da. „In den letzten zwei Jahren habe ich mich bemüht, neue Formen, neue Ausdrucksmittel zu entwickeln“, erzählt Rolf Hemmerich. „Ich hatte dabei das Glück, in Polen dieses schwarze Holz zu bekommen, das ist Mooreiche, die ist ein paar Tausend Jahre alt.
Ich war immer schon fasziniert von der Evolutionsgeschichte der gesamten existierenden Lebenswelt, wie sich das Neue aus dem Alten herausbildet bei gleichzeitiger Beibehaltung dessen, was mal war. Das Alte verschwindet ja nicht, das taucht in anderen Formen immer wieder auf. Das konnte ich mit diesem Material, der Mooreiche, zeigen.“
Fossilien sind für seine künstlerische Arbeit eine seiner Inspirationsquellen. Herr Hemmerich hat selbst an Ausgrabungen in einem Steinbruch teilgenommen, in „Solnhofen, wo sie den Urvogel gefunden haben“, und im Rahmen seiner 30-jährigen Tätigkeit als Studienrat für Biologie Evolutionstheorie gelehrt.
„Ich habe Kunst überhaupt nicht studiert. Vor 10 Jahren wollte ich mal an die Akademie gehen, aber dachte dann, dass das doch lieber ein Prozess sein soll, der ganz aus mir selber herauskommt.“ Angefangen hat seine künstlerische Tätigkeit vor etwa 30 Jahren, „mit Fundstücken aus Holz, die ich dann mit dem Messer bearbeitet habe. In einem solchen Prozess entwickelt man dann eine bestimmte Ästhetik, ein bestimmtes Gefallen an der Sache.“
Heute hat er als pensionierter Studienrat den „Vorteil, dass ich nicht Klinkenputzen gehen muss, sondern wirklich machen kann, was ich will“.
Rolf Hemmerich führt mich in den Keller seines Ateliers, den er mit einiger technischer Raffinesse als Ausstellungsraum hergerichtet hat, so dass jedes seiner Kunstwerke ausgeleuchtet ist. Mein Blick fällt auf eine Art bronzenen Ritterhelm, den er zusammen mit einem Freund selbst gegossen hat. Und auf eine Hunde-Figur (spanisch „Perro“) aus der aztekischen Kultur.
Doch Herr Hemmerich will mir noch etwas Spezielles zeigen: Er dunkelt den Raum ab, steckt einen Stecker in eine Leiste und – plötzlich ist der Raum ganz in Schwarz-Licht getaucht. Aber in Kniehöhe funkeln tausende Farbpunkte auf, gruppiert auf einem x-förmigen Holzgebilde und umrahmt von einem leuchtenden Uhr-Kreis am Boden. Eine kurze, beeindruckte Stille in der farbigen Dunkelheit. Dann seine Erklärung: „Der Urknall!!“
„Da steckt ganz viel Leidenschaft drin. Wenn ich in diesem künstlerischen Schaffensprozess bin, dann vergesse ich Zeit und Raum. Und ich kann mich dem so lange hergeben, wie meine Schaffenskraft an einem Tag reicht. Da freut man sich auch jahrelang über die Produkte, die bedeuten einem was.“
Wieder oben am Tageslicht erläutert mir Herr Hemmerich, warum ihn Inka-Figuren, bronzene Ritterhelme oder der Urknall im Schwarz-Licht interessieren:
Helm-Maske, Esche, 45cm, Rolf Hemmerich
Helm-Maske, Esche, 45cm, Rolf Hemmerich, Foto: Rolf Hemmerich
„Mich interessiert das, was sich im Laufe der Menschheitsgeschichte an Symboliken entwickelt hat, mit denen wir heute noch genauso leben, ohne dass sie uns so bewusst sind, und wir stattdessen so tun, als ob das Alltägliche für uns das allein Ausschlag Gebende wäre. „Archetypen“ – der Begriff stammt von C.G. Jung – ist beispielsweise ein Begriff, der mir sehr viel sagt. Er bezeichnet Strukturen, die sich im Laufe der Entwicklung von Welt und Menschheit immer wieder in anderen Konstellationen verdeutlicht haben. In uns stecken bestimmt auch bildliche Archetypen, woher soll sonst dieses Gefühl von Ästhetik herkommen, wenn viele Leute bestimmte Dinge, Naturerscheinungen etwa, als schön bezeichnen?“
Rolf Hemmerich legt allerdings Wert darauf, seinen Besuchern keine Interpretation oder Sichtweise nahezulegen oder gar vorzuschreiben, im Gegenteil, „ich bin wahnsinnig neugierig darauf, wie die Leute reagieren. Die Rezeption eröffnet ganze Horizonte, an die man vorher gar nicht gedacht hat. Dann gefallen manche Dinge, von denen ich mir das gar nicht hätte vorstellen können.“
„Soll ich ein Beispiel erzählen?“, fragt mich Herr Hemmerich. Aber gerne! „Vor zwei Jahren wurde dieses Gebäude da draußen gebaut und dann lag da auf der Baustelle so ein alter Zinkeimer rum, bisschen verbeult, so einen, wie man ihn vor Jahren benutzt hat. Und mir kam die Idee, den müsste man jetzt irgendwie platt machen. Ja, dann habe ich den Zinkeimer zwischen zwei Holzbretter gelegt und hab` den Baggerfahrer gebeten, da mal drüber zu fahren. Das hat er auch gemacht! Und dann sah das gleich ganz anders aus, nämlich richtig platt, ausgewalzt. Diesen plattgewalzten Eimer habe ich durch die Schlosserei nebenan links und rechts so knicken lassen, dass er genau in eine ehemalige Weinkiste hineinpasst. Den Kasten habe ich schwarz eingefärbt und dann blinkte natürlich dieser Eimer, den habe ich dann poliert, und das sah ganz nett aus. Dieses Objekt lag da anderthalb Jahre und jetzt, auf der letzten Ausstellung, da ging ein Besucher genau darauf zu und sagte: ‚Ach, das ist ja toll, das erinnert mich an so viele Sachen aus meiner Vergangenheit, das muss ich unbedingt haben!‘
Das bestätigt einen immer wieder: Da hast du eine Sache gesehen, die Wirkung auf jemanden hat. Von solchen Dingen bin ich fasziniert!“
„Ja, ich fühle mich hier ausgesprochen wohl.“ Im Frühjahr könne er draußen im Freien arbeiten und komme dabei mit Passanten ins Gespräch. Wie er denn an dieses Atelier in der Pohlstraße 11 gekommen ist? „Ich wohne seit 30, 35 Jahren in dieser Gegend. Durch meine Tätigkeit im Quartiersrat und im Quartier habe ich einige Projekte mit durchgeführt und dabei einen guten Einblick bekommen, nicht nur in das soziale und ökonomische Geschehen, sondern auch in die Gebäude, die es hier gibt, und was mit diesen Gebäuden geschieht.“
Und zum Schluss erzählt mir Herr Hemmerich noch verschmitzt, wofür so ein Atelier in einem U-Bahnbogen noch so alles gut sei: Für eine Geburtstagsfeier zum Beispiel! In jenem Keller mit dem Schwarz-Licht rückten dann nämlich die Kunstwerke an den Rand des Raumes, Bierbänke würden hineingestellt, der Raum werde geschmückt – und in der Ecke, in der der „Urknall“ zu sehen war, da spiele dann eine Band, mit sattem Klang und ordentlicher Laustärke!
Dieser Beitrag ist Teil des Artikels: Kunst an der Potsdamer Straße. Begegnungen mit Künstlern, Galeristen und Besuchern.